Zunftzeichen: Buchbinder
Zwischen 1480-1500 schrieb Jakob Lauber, der Prior der Basler Kartause, im Hinblick auf deren reiche Bibliothek, es gebe manche Menschen, die gegen die Anschaffung von Büchern seien, aber ein Kloster ohne Bücher sei «wie eine Stadt ohne Reichtum, eine Burg ohne Mauern, eine Küche ohne Geschirr, ein Tisch ohne Speisen, ein Garten ohne Kräuter, eine Wiese ohne Blumen, ein Baum ohne Blätter». Dieses gute Wort fiel zu einer Zeit, da in Basel die junge Kunst der Buchdruckerei bereits festen Boden gefasst hatte und mit den stärksten Impulsen einem Blühen und Reifen entgegentrieb, welches das geistige Gut und den Ruhm Basels als Gelehrten- und Druckerstadt in alle Welt trug.
In der Zeit, da es noch keine gedruckten Bücher gab, waren es vor allem die Klöster und die Schreibstuben der Gulden- und Buchschreiber gewesen, wo Handschriften in größerer Zahl und etwa auf Vorrat angefertigt und auch gebunden wurden. Jedenfalls war das Buchbinden lange Zeit eine freie, seltene und keiner bestimmten Zunft zugewiesene Beschäftigung und die 1434 erfolgte Aufnahme des Buchbinders Friedrich von Helmut in die Krämerzunft zu Safran bildete eine durchaus singuläre Erscheinung der Konzilszeit.
Bücherlust und Sammeleifer finden wir damals viel weniger in profanen Kreisen als bei kirchlichen Personen. Wohl die schönste und für ihre Zeit ungewöhnlich große Bibliothek – an die dreihundert Bände – besaß der Gelehrte und Prediger Johannes Heynlin (1430/33-1496. Die Kartause wurde Erbin seiner Bücherei, die 1592 mit der gesamten Klosterbibliothek an die Universität überging. Heute von der Universitätsbibliothek als kostbarer Schatz gehütet, erregen Heynlins prächtige Bände mit den goldenen Initialen, den zierlichen Miniaturen, der reichen Rubrizierung noch immer die Bewunderung des Bibliophilen.
Das gewaltige Anwachsen des Buchgewerbes brachte nun auch die Buchbinderei, die anfänglich innerhalb des Druckereibetriebes und Verlegergeschäftes geschah, mehr und mehr als selbständiges Handwerk empor und führte zu dessen zünftischer Eingliederung, die frühestens in die 1480er Jahre zu setzen ist. Von diesem Zeitpunkt an nahmen die Basler Buchbinder wie die gleichzeitig zu selbständiger Stellung gelangenden «Buchführer», d.h. Buchhändler, die Safranzunft an. Die älteste Schicht der safranzünftigen Buchbinder rekrutierte sich ausnahmslos aus Zugewanderten aus den schwäbischen und fränkischen Städten, aus dem Elsass, aus Jülich und den Niederlanden. Als Kuriosum ist der 1558 zünftig gewordene Hugo Shyngliton von Lunda (London) zu erwähnen, als einer der ganz seltenen Fälle, da Basel einem englischen Glaubensflüchtling Schutz und Schirm angedeihen liess. Der erste Buchbinder aus angemessenem Geschlecht war der 1564 der Zunft beitretende Franz Gernler.
Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts machte die Safranzunft zwei Dutzend Buchbinder zu den Ihrigen, die in dieser Glanzzeit des Buchwesens ihr gutes Auskommen fanden. Arbeiten dieser Männer finden sich noch heute vor in Einbänden, deren durch reiche Blindpressung geschmückte Lederhüllen einen spezifischen Basler Typus erkennen lassen. Aus dem Betrieb ihrer Werkstätten erfahren wir aber kaum etwas. Nur durch zufällige, vereinzelte Nachrichten treten uns einzelne dieser Meister menschlich näher. So Jakob Spittler und sein Sohn Peter, die ausgezeichnete Büchsenschützen waren. Wohl der angesehenste und gebildetste unter den Basler Buchbindern jener Epoche war der aus Jülich gebürtige Mathis Birenman. Er besass den Magistergrad und wurde in Humanistenkreisen Mathias barbatus, der «bärtige Mathis», genannt. Fast zwei Jahrhunderte lang behalf sich das Buchbinderhandwerk ohne eigene Handwerksordnung. Im Jahre 1646 regelte der Rat in seiner grossen Taxordnung erstmals das Lehrlingswesen, indem er die Lehrzeit auf drei Jahre und das Lehrgeld auf höchstens 37 lb. 10 s. nebst 2 lb. 10 s. Trinkgeld festsetzte. Zugleich schrieb er die zu fordernden Höchstpreise für Buchbinderarbeiten vor.
Erst unter den Buchbindern ausbrechende gewerbliche Streitigkeiten bewogen 1654 den Zunftvorstand, die Buchbinder zu mahnen, auf eine schriftliche Ordnung bedacht zu sein. Aber noch 1659, anlässlich eines Spans unter den Meistern, waren diese nicht in der Lage, ihre Handwerksartikel vorzulegen. Trotz der anbefohlenen Frist, dies innert drei Monaten zu tun, unterbreiteten die Meister erst im Herbst 1661 ihre Ordnung den Zunftherren zur Ratifikation. Die Ursache dieser Saumsal ist nicht klar ersichtlich; vielleicht mochte einzelnen maßgebenden Meistern mit beruflicher Bewegungsfreiheit besser gedient sein als mit bindenden Handwerksvorschriften.
Gestützt auf die 1661 genehmigte Ordnung gingen die Meister nunmehr darauf aus, Fremden tunlichst die Zunft zu verschließen und das Handwerk den Meistersöhnen vorzubehalten. Das wurde so exklusiv gehandhabt, dass von zwei Ausnahmen – einem Deutschen (1663) und einem Schweden (1664) – abgesehen, bis zur Aufhebung der alten Zunftherrlichkeit im Jahre 1798 kein einziger Neubürger beim Buchbindergewerbe unterkam. Jedes Mittel war gut, wenn es galt, eine unerwünschte Konkurrenz sich fern zu halten. Als 1672 der aus Kassel stammende Gottfried Scharmunt Vertröstung begehrte, wendete das Handwerk ein, dieser Geselle sei ohne Gruss hergekommen und habe seinem Vorgeben nach einen Franzosen entleibt! Abgewiesen, liess sich, Scharmunt dann als sogenannter «Stümpeler» in Kleinhüningen nieder und tat den hiesigen Buchbindern nach ihrem eigenen Geständnis derart Eintrag, dass sie 1675 vor der Zunft um die Erlaubnis nachsuchten, wenn er wieder Bücher in die Stadt bringe, diese konfiszieren zu dürfen.
Der Zunftvorstand war von ihrem Verhalten nicht besonders erbaut und speiste die Meister mit dem Bescheid ab, sofern sie Klagens nicht absein könnten, sollten sie sich bei den Ratshäuptern anmelden. Erst 1680 gestattete die Zunft nach ergangener Beschwerde der gesamten Meisterschaft, Arbeiten von Stümpelern, die um die Stadt herum und nicht im Gebiet Unserer Gnädigen Herren und Obern sassen, wegzunehmen und auf die Zunft zu tragen.
Auch über die Reputation der Meister wurde auf das genauste gewacht. Meister Jakob Fischer, eine impulsive Natur, der seine Gesellen «Räuber» gescholten hatte, wurde deswegen 1684 vom Handwerk verstoßen und überdies um drei Pfund Geld gebüßt. Die Zunft ermäßigte freilich die Strafe auf 12 Batzen und gebot den Meistern ihn wieder neben sich zu dulden. Ein Jahr später drehte Fischer den Spiess um und beschwerte sich vor der Zunft, es werde ihm nicht umgeschaut und einige Meister seien ihm sonst zuwider. Die Beklagten warfen Fischer vor, er laufe ihnen die Arbeit ab; wenn in einem Bürgerhaus ein Todesfall vorkomme, eile er dorthin, und erbettle den Auftrag zum Einbinden der Leichenpredigt. Fischer replizierte, die andern Meister täten ein Gleiches. Die Zunftgewaltigen begnügten sich mit dem salomonischen Urteil zuhanden beider Parteien, sich miteinander friedsam zu betragen und ferner nicht klagend vor Meine Herren zu kommen.
Lächerlich mutet daher die Entrüstung der empfindsamen Meister an, als ihr Mitmeister Daniel Haag um die Fastnachtszeit 1697 auf der Zunftstube zum Himmel in der Weinlaune sich äußerte, er wolle ein Buch einbinden, dergleichen keiner unter den hiesigen Meister eines binden könne! Allen Ernstes setzte sich das in seiner Berufsehre schwer gekränkt fühlende Handwerk zum Bott, verhängte über den Prahler die Gesindesperre und verdonnerte ihn obendrein zu zwei Gulden Strafe. Die Zunft beurteilte allerdings den Fall nüchterner, erklärte den ganzen Handel, jedem an seiner Ehre unbeschadet, für erledigt und hob die Sperre auf.
Wie scharf man auch den Gesellen auf die Finger sah, belehrt der 1675 vor dem Zunftgericht zur Verhandlung kommende Fall eines bei Samuel von Wengen in Arbeit stehenden Gesellen, der vom Handwerk in Schaffhausen aufgetrieben und für unredlich gescholten wurde. Seine Verfehlung bestand darin, dass er bei seinem früheren Meister in Stein am Rhein, einen Bogen falsch eingesetzt hatte! Obwohl er bereit war den Schaden gutzumachen und obwohl sein Basler Meister und die hiesigen Gesellen nicht das geringste über ihn zu klagen hatten, wurde er gezwungen, nach Schaffhausen zu reisen, sich dort vom Handwerk abstrafen und wieder redlich machen zu lassen, bevor er hier seine Arbeit wiederaufnehmen durfte.
Nicht nur berufliche Verfehlung, sondern auch Verstöße gegen Zucht und Sitte nahmen Handwerk und Zunft nicht leicht. Als 1757 der Geselle Joh. Gottfried Nahe von Jena den Gesellenvater, Meister Samuel Haag, spöttisch anfuhr, erkannte das Handwerk: «der geselle soll den gesellenvater um verzeihung bitten und daraus ein aufgehebter sach sein, das bottgelt, so der gesell erlegt, verfallen und den ersten frembden gesellen umschauen. Herr Haag solle in das künftige seinen gesellen einen maulkragen anlegen, dass sie in das künftige sich in keine meisterhändel legen»
Gleich den Papierern und Kartenmachern waren auch die Buchbinder ein sogenanntes «geschenktes» Handwerk. Das Geschenk, d.h. der gemeinsame Trunk sämtlicher Gesellen des Handwerks bei Ankunft eines zuwandernden Gesellen, sollte in erster Linie dem Fremden Gelegenheit geben, sich als redlichen Gesellen auszuweisen. Die erstmals 1671 von der Ehrsamen Gesellenschaft der Buchbinder aufgesetzte Geschenkordnung – eine der wenigen, die sich im Wortlaut erhalten hat – besagt folgendes:
Die Gesellen sollen alle vier Wochen auf der Herberge zusammenkommen in Beisein des Handwerksvaters. Es soll alsdann ein jeder, der « auf seinen vierzehn Tagen ist», einen Schilling Aufleggeld geben.
Wird ein Geselle fremd, d.h. tritt er aus eigenem Willen aus seiner Stelle oder bekommt von seinem Meister den Abschied, so hat er sich vor 1 Uhr mittags beim Handwerksvater anzumelden; alsdann soll dieser nach dem Altgesellen schicken, auf dass der fremde Geselle befördert werden möge.
Wenn ein «Geschenk» vorhanden wäre, so soll der Altgeselle dem Junggesellen anzeigen, dass er vom ältesten bis zum jüngsten gehe und sie zum Geschenk fordere und soll ein jedweder drei Batzen zum Geschenk erlegen. Bleibt einer vom Geschenk aus, so hat er seinen Beitrag gleichwohl wie ein anderer abzustatten.
Das Geschenk soll ganz und gar an der Woche abgestellt sein und allein sonntags nach 5 Uhr abends, jedoch nach Gelegenheit der Zeit und Geschäfte, gehalten werden. Hat das Geschenk ein Ende, so soll der Junggeselle den Gesellen anzeigen, wer darnach länger zu bleiben Lust habe, der möge es wohltun. Folgenden Tags oder wann es des fremden Gesellen Gelegenheit ist, sollen der Alt- und der Junggeselle ihm das Geleite zum Tor hinausgeben und ihn auf die richtige Strasse bringen, wohin er seine Reise vorhat.
Wenn der Altgeselle dem fremden Gesellen das Geschenk zugebracht hat, so soll während des Geschenkes keiner essen, außer dem fremden Gesellen, dem das Essen wohl erlaubt ist. Bei dem Geschenk soll keiner ein Messer oder eine andere schädliche und tödliche Wehr auf sich tragen. Es soll auch keiner so viel Wein verschütten, der nicht mit der Hand könnte bedeckt werden, widrigenfalls er straffällig würde.
So, lange das Geschenk währt, soll die Armenbüchse auf dem Tisch stehen bleiben wegen derjenigen, die sich etwa mit Fluchen, Schwören, Missbrauch des göttlichen Namens und sonst ungebührlich verhielten. Insbesondere soll, weder beim Geschenk noch wenn die Gesellen sonst beisammen sind, keiner den andern «liegen» heißen.
Welcher Geselle den andern zum übermäßigen Trinken nötigt oder selbst mehr als seine Natur vertragen kann, zu sich nimmt, soll den Gesellen in 3 Batzen Strafgeld verfallen sein; auf solche «Verbrecher» soll der Junggeselle während des Geschenks sein fleißiges Aufsehen haben. Von den Strafgeldern soll allzeit ein Drittel in die Gesellenlade kommen, die andern Zweidrittel aber den Gesellen nach ihrem Belieben zu verzehren verbleiben.
Alle Vierteljahre soll aus der Gesellenschaft ein anderer Altgeselle und Junggeselle erwählt werden. Die Geschenkordnung wird, so oft die Gesellen Auflagetag haben, durch den Altgesellen öffentlich verlesen. Sind auch sonst fremde Gesellen da, die von diesen Artikeln noch keinen Bericht haben, so hat der Altgeselle ihnen diese vorzulesen. Bei diesem Anlass sollen der oder die fremden Gesellen der Armen nicht vergessen. Wer die Geschenkordnung freventlich missachtet und vernichtet, soll von der Gesellenschaft mit unnachlässiger Strafe belegt werden ...
Einen volkskundlich interessanten Beleg liefern uns die erstmals 1692 auftauchenden und im 18. Jahrhundert wiederkehrenden Klagen der Buchbinder wegen der sogenannten «Liederträger und Singer». Diesen herumziehenden Leuten war erlaubt, ihre auf Blätter gedruckten Volkslieder während der Messe und Fronfastenmärkte feilzuhaben, wie es noch vor dreißig Jahren die sogenannten Moritatensänger bei uns taten. Nach Aussage der Buchbinder vertrieben diese Fremden ihre literarischen Elaborate aber auch zur anderer Zeit ungescheut in der Stadt. Sie schmälerten dadurch ein Vorrecht der Buchbinder, die solche fliegenden Blätter in ihren Läden verkauften. Die Zunft gebot deshalb dem Oberknecht, solche hausierende Liederträger zu verwarnen widrigenfalls ihnen ihre Ware abgenommen werde. Über derartige Liederträger gibt uns Joh. Peter Hebel hübsche Auskunft in seinem «Gutachten über die Frage, wie dem Gebrauch anstößiger Volkslieder am sichersten vorzubeugen sein möchte». Der alemannische Dichter schreibt dort: «Der gewöhnlichste Weg, auf welchem die Lieder für die rohesten Volksklassen in ihr Publikum übergehen, sind die bekannten Liedertische auf den Jahrmärkten, wo reiche Sammlungen solcher Produkte, gewöhnlich vier zusammen auf einem halben Bogen Löschpapier, dem gut gekleideten Käufer für drei, dem lumpigen für einen Kreuzer mit Einschluss des Honorariums für den Unterricht in der Melodie losgeschlagen werden. Es sind aber bei weitem die meisten dieser Quartette von Zotenhaftigkeit ganz rein, und in den übrigen zeichnet sich doch gewöhnlich nur eins unter vieren durch schmutzig-pöbelhaften, und noch seltener durch eigentlich unzüchtigen Inhalt aus. Von den andern sind manche vielleicht in hohem Grade sinn- und geschmacklos, aber in sittlicher Beziehung sind sie rein, und es liegt in dem Verhältnis derselben zu den Unreinen zum Theil eine feine Spekulation der Verleger. Denn der züchtige Käufer nimmt zu den drei reinen das vierte mit, und für den unzüchtigen macht das eine die drei andern verkäuflich. Theils beweist dasselbe Verhältnis, das von Alters her das nämliche ist, dass die Nachfrage nach züchtigen Liedern doch immer noch die grössere ist, und die unzüchtigen noch immer blos als Sporeo mit jenen abgesetzt werden können.. »
Nicht nur den Vertrieb solcher Liederheftlein, auch den Verkauf von Kalendern und «Historien» betrachtete das Buchbinderhandwerk seit der Mitte des 17. Jahrhunderts als in seine Domäne gehörig. Es ging sowohl gegen die fremden Kalenderverkäufer vor, indem es sich 1718 das Recht der Konfiskation bestätigen ließ; aber auch die hiesigen Krämer, die Kalender vertrieben, mussten auf obrigkeitliches Geheiß den Handel mit diesem Artikel fallen lassen. Berufliche Reibereien mit andern Handwerken kamen sonst selten vor. 1729 musste die Zunft die Buchbinder ermahnen, von Stümpelern in der Nachbarschaft keine Beschläge zu kaufen, sondern sich der zünftigen Gürtler zu bedienen, weil sonst dieses Handwerk sich auch gezwungen sehen würde, den Buchbindern Eingriff zu tun.
Die seit 1661 organisierte Meisterschaft E. E. Handwerks der Buchbinder erreichte um die Mitte des 18. Jahrhunderts ihren stärksten Bestand, um dann bis zum Untergang der alten Zunftgerechtsame wieder bedeutend zurückzugehen.